Himmel und Erde
Als ein Adler und ein Uhu gerade auf einem Ast am Sinnieren über das Leben waren, erblickte der Adler etwas am Horizont. Sein plötzliches Verstummen irritierte den Freund, der ihn daraufhin nach dem Grund seines Starrens in den Himmel fragte. Denn dort war nichts weiter zu sehen als eine müde herumsurrende Biene. Der junge Adler war noch sichtlich versunken in Gedanken, fragte aber schließlich den vom vielen Nachdenken und Philosophieren gescheiten Uhu: "Es heißt, dass es einen Vogel gäbe, der sich beim Hinaufsteigen in die Lüfte mit dem Schwanz voraus ausrichte. Den Kopf hat er dabei gegen die Erde gerichtet, da ihm angst und bange ist, die Orientierung zu verlieren. Soll es so etwas wahrlich auf der Welt geben, ohne dass ich es jemals beim Spazieren am Himmel habe erblicken dürfen?"
Der Uhu war sichtlich amüsiert und sprach: "So eine unsinnige Erdichtung kann nur dem Geist eines Menschen entsprungen sein. Am liebsten würde er selbst dem Himmel entgegenfliegen, ist dabei aber nicht willens, die Erde aus dem Blick zu lassen."
(Frei nach der Fabel "Merops" von Lessing)